Das Neuroverse

Wie erleben Teilnehmer die Amazing 15 Academy? Warum kann man mit Lego Programmieren lernen? Hier findest du Artikel rund um unsere Arbeit und das Leben, Theorie und Anekdoten – kurz: Vielfalt, wie sie nur im neurodivergenten Spektrum vorkommt.

Was bedeutet neuroinklusiv?

Ein Bekannter hat mich vor kurzem gefragt: “Was müssen Trainer:innen bei euch beachten? Was bedeutet neuroinklusiv?”
Wir arbeiten beide im IT-Sektor und halten beide Vorträge über unseren Fachbereich. Er im Rahmen von Fortbildungsseminaren für eine große IT Firma, ich für kleine Gruppen neurodivergenter Personen. Wir unterhalten uns rege über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in unseren Berufsfeldern. Ich merke schnell: Für mich ist bereits vieles so selbstverständlich, dass ich kaum noch darüber nachdenke.

Lernumgebung und Hilfsmittel

Ich überlege kurz eine Antwort auf seine Frage und fange an, unterschiedlichste Dinge aufzulisten. “Einerseits ist es die Lernumgebung, auf die wir achten. Diese soll möglichst reizreduziert sein. Dazu zählen z.B. Lichtverhältnisse, Temperatur oder Lautstärke. Außerdem können unsere Teilnehmer:innen im Kursraum auch Kopfhörer oder Sonnenbrille tragen.”, erkläre ich schließlich. Ich erzähle von Fidget Toys, ein Tool, dass zur Konzentration und Stressregulation beitragen kann, und möglichst strukturierten Tagesabläufen. “Wir merken, dass es den Teilnehmenden sehr hilft, wenn z.B. Pausenzeiten im voraus fixiert und eingehalten werden und dass sie über Termine frühzeitig Bescheid wissen, damit sie sich darauf einstellen können.”

Vielfältige Vermittlung von Inhalten

Ich beschreibe, wie wichtig es ist, Inhalte auf verschiedene Arten zu übermitteln, wenn möglich mündlich und schriftlich, um für alle einen Zugang zu schaffen. Hier sind Vorhersehbarkeit und strukturierte Abläufe ebenfalls essenziell. Auch über die sozialen Aspekte führe ich im Gespräch weiter aus: “Wir erwarten keinen Small Talk von den Teilnehmenden, das wird oft als anstrengend empfunden. Wenn jemand beim Begrüßen die Hand nicht schütteln möchte oder sich in der Pause zurückzieht, wird das nicht als unhöflich angesehen. Ähnlich verhält es sich mit Blickkontakt halten, der für viele unangenehm ist.”

Respektvoller Umgang und Feedback

Im Verlauf der Unterhaltung frage ich mich immer wieder, warum ausgerechnet diese Punkte als “neuroinklusiv” oder “neurodivergenzgerecht” betrachtet werden. Profitiert nicht jeder Mensch davon, wenn auf die eigenen Bedürfnisse geachtet wird, um gut arbeiten zu können? Ist vieles davon nicht einfach nur Rücksichtnahme? Und wer würde schon Unklarheit und Mangel an Struktur bevorzugen? An dieser Stelle komme ich wieder ins Grübeln. “Es zählen Werte wie respektvoller und ehrlicher Umgang miteinander, genauso fällt auch das Feedback aus.”
Im weiteren erläutere ich, dass es in unseren Kursen für die Teilnehmer:innen zumindest eine Feedback-Einheit gibt, in der sie konstruktive Rückmeldungen von uns erhalten. Dabei wird über die fachliche und persönliche Weiterentwicklung gesprochen, insbesondere Kriterien, die wichtig für einen Job am ersten Arbeitsmarkt sind.

Spezielle Hindernisse und Anforderungen

“Was für Kriterien sind das so?”, erkundigt sich mein Bekannter. Ich erkläre ihm, dass Menschen im neurodivergenten Spektrum oft spezielle Hindernisse überwinden müssen. Viele haben etwa ungewöhnliche Schlafrhythmen, die sich schwieriger mit regulären Arbeitszeiten vereinbaren lassen, oder sie haben mit chronischen Erkrankungen und Schmerzen zu kämpfen. Auch das lebenslange Ankämpfen gegen Vorurteile und Stigmata beeinträchtigt die mentale Gesundheit.
“Wir sprechen dann mit ihnen darüber, was wir in der Berufswelt für realistisch und umsetzbar halten. Manchmal erkennen sie auch selbst, dass sie ein bisschen mehr Zeit brauchen, bevor sie einen Job antreten. Eine gewisse Selbstreflexion und die Fähigkeit, Feedback annehmen zu können, sind eigentlich am Wichtigsten.”

Mehr als Wissensvermittlung

Während mein Gesprächspartner seine Erfahrungen und Arbeitsweisen mit mir teilt, sagt er plötzlich: “Bei euch ist das ja viel mehr als nur Wissensvermittlung, das ist schon fast Individualbetreuung.” Aus dieser Perspektive hatte ich meinen Job als IT-Trainerin bisher gar nicht betrachtet. Für mich ist es normal, dass ich mich mit den Teilnehmer:innen auseinandersetze. Das wird mir in diesem Moment zum ersten Mal bewusst. Die folgenden Tage denke ich noch viel über unser Gespräch nach. Mir fallen immer wieder weitere Punkte ein, inwiefern sich unsere Kurse von anderen unterscheiden.

Ganzheitlicher Ansatz im neuroinklusiven Training

Ich frage mich schließlich selbst: “Was bedeutet neuroinklusiv?”
Für mich bedeutet es, unseren Teilnehmer:innen als Menschen zu begegnen, unabhängig von ihrer Diagnose, und sie ganzheitlich mit ihren Stärken und Schwächen wahrzunehmen. Nur so kann Lernen und Entwicklung ermöglicht werden.

Mina Hova

Kursleitung Data//Manager | IT Training

Mina ist selbst im neurodivergenten Spektrum und versteht die Anforderungen an eine neuroinklusive Lernumgebung besonders gut.